Über mich

Es gibt einen Punkt im Leben eines Mannes, an dem er sich entscheiden muss...

03.03.2011

Lächeln

"Lächeln", sagte er sich," lächeln. Du musst jetzt lächeln."
Das war sein Mantra, das er sich jeden Tag wieder vorbettete. Jeden Tag wieder und wieder, teilweise sogar mehrmals täglich. Lächeln war sein Antrieb.
Er versuchte immer zu lächeln. Immer. Auch wenn es ihm nicht so gut ging, Hauptsache lächeln. Wobei gerade wenn es ihm nicht so gut ging, lächelte er. Eigentlich lächelte er immer.
Die Bahn fuhr mit einem quietschenden Geräusch in den Bahnhof ein. Wie immer bildete sich einen Wand um die einzelnen Eingänge. Man kam sich immer wie umzingelt vor, wenn man aus der Bahn ausstieg. Als ob sie einen nicht rauslassen wollen. Doch diesmal stand er auf Seiten der Mauer. Er stellte sich wie gewöhnlich an den Rand.
"Müssen ganz schön aggressive Menschen sein die sich direkt in die Mitte stellen. Sofortiger Augenkontakt mit dem ersten Aussteiger.", dachte er sich. An einigen Tagen kam es ihm, in solchen Situationen, vor, als ob es gleich zum Kampf kommen würde.
Vor einigen Wochen stand in der Mitte ein richtiger Bodybuilder. Er stand dort wie ein Fels, den man da hingesetzt hatte und der nicht mehr weichen wollte. Er stand dort und schaute einen an. Einfach nur an. Mit seinem eisig, todbringenden Blick schaute er einen an und man erfror fast innerlich.
Gott sei Dank hatte er diesen Kerl bisher nur einmal gesehen, er wusste nicht ob er noch so ein aufeinandertreffen mit ihm überlebte...
Er riss sich aus den Gedanken als er sich an die Bahnscheibe anlehnte. Er begann wieder sein Mantra aufzusagen. Es war sein Begleiter seit dem Zeitpunkt.
Er fing an die Leute in der Bahn zu beobachten. Das war generell sein Lieblings Hobby. Er fand es irgendwie witzig, zu zusehen wie die Leute in ihren Träumen und Sehnsüchten versanken und sich ihr Gesichtsausdruck wechselte. Ihm war jedes Mal bewusst, dass ihnen irgendwann in ihren Träumen klar wurde, dass sie davon bisher nichts erreicht hatten und wahrscheinlich auch nicht erreichen werden.
Irgendwie heiterte es ihn auf.
Wobei er teilweise gar nicht mehr wusste, ob es ihn wirklich aufheiterte oder es ihn bloß aufheiterte weil er das so spielte. Generell konnte er nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden. Er spielte die größte Zeit des Tages. Er tat es seit seinem persönlichen D-day. Sozusagen seinem Pearl Harbour...
Zurück zu seinem Mantra. "Lächeln, komm schon verdammt, lächeln.", dachte er sich.
Das war das einzige, das er sich immer wieder sagen musste, an sich konnte er ja alles andere, doch das Lächeln fiel ihm jeden Tag schwer. Er brauchte unglaublich viel Kraft in den ersten Tagen danach, um sich selbst zum Lächeln zu bringen. Generell fiel ihm damals alles noch schwer, jedes einzelne Gefühl fiel ihm schwer, alle die er imitieren musste fielen ihm schwer. Das einzige was er nicht spielen musste, war das Gefühl von Leere. Das konnte er immer darstellen. Das war sein Inhalt. Seine Füllung. Sein Ich.
An sich würde er die ganze Zeit mit einem solch deprimierten Gesichtsausdruck durch die Welt rennen, das selbst Grufties und Emos sich von ihm abwenden würden, da er ihnen wahrscheinlich zu deprimiert war.
So ging es ihm jeden Tag...
Doch er wollte seine Freunde nicht verschrecken, geschweige denn, dass sich einer um ihn Sorgen machen müsste. Er dachte sich immer, wo war das Mitleid, als er es hätte brauchen können?
Er machte seinen Freunden keine Vorwürfe, sie kannten ihn damals noch nicht und waren auch nicht mit ihm befreundet, aber er machte den Leuten einen Vorwurf, die ihn damals kannten und sein Leiden nicht sahen oder die die es runterspielten.
Irgendwann war er soweit, dass er sich dachte: "Jetzt ist Schluss!"
Irgendwann saß er mit einer Klinge im Bad und wollte dieser Welt entfliehen, er wollte diese schreckliche Welt nie wieder sehen, er konnte sie nicht mehr sehen. Sie kotzte ihn förmlich an.
Er saß damals lange im Bad, er dachte die ganze Zeit, ob er es nun tut oder nicht. Ihm kam es vor als ob er damals Stunden drin gesessen hatte, wenn nicht Tage. Er machte sich klar, dass er so nicht leben wollte, dass er das nicht aushielt, dieser ständige Druck, dieser psychische Druck.
Er erdrückte ihn.
Er dachte damals auch, wie die Welt ohne ihn aussah. Sicherlich schöner für alle, redete er sich damals ein. Sie würde um ein Übel reduziert werden. So kam er sich vor. Ein Übel.
Irgendwann kam er auf den Gedanken, das das nicht der Ausweg sein konnte.
Wenn er jetzt gehen sollte dann sollte er, aber er würde nicht durch seine eigene Hand gehen. Dann hätte diese Hexe von Lehrerin gewonnen.
Das wollte er nicht, er konnte ihr diesen Triumph nicht gönnen. Sie hatte ihn schon oft vor der Klasse damals bloß gestellt. Sie mochte ihn nicht, nicht mal ansatzweise, warum wusste er nicht. Doch inzwischen war er ihm egal, sie war zu seinem Feindbild geworden.
Er hatte sich dann für das Leben entschieden, er wollte sein Abitur machen und es dieser Lehrerin so unter der Nase reiben, dass sie daran ersticken sollte. Er wollte es ihr beweisen. Sie sollte noch sehen, dass sie Unrecht hatte. 
Dieser Tag hatte für ihn eine Wende bedeutet, er hatte sich geschworen, das er sich nie umbringen würde. Er würde zwar seinen Tod annehmen wenn er denn gekommen war, doch solange er noch einen Willen zu Leben hatte würde nicht durch seine Hand sterben.
Ebenfalls wollte er für jeden seiner Freunde den Ritter spielen sozusagen, er wollte sie vor seinem Schicksal bewahren. Er wollte, dass sie niemals das fühlen sollten, was er gefühlt hatte und immer noch fühlte.
Er dachte sich, irgendwann würde er wieder Freunde haben.
Er fand auch irgendwann Freunde.
Eigentlich war es interessant, dass seine Scharade nur wenige bemerkten, er wusste zwar schon damals, das die Menschen im Grunde blind durch die Gegend liefen, jedoch wurde ihm damals erst richtig bewusst wie blind sie waren.
Keiner erkannte seine wahren Gefühle, keiner interessierte sich dafür.
Sie gingen achtlos an ihm vorbei und versuchten weiter ihr unbedeutendes Leben zu führen. Sie waren mit sich selbst beschäftigt und konnten keine Zeit für andere Menschen erübrigen.
Er hatte sich vorgenommen nicht so zu werden...
Doch leider war das Leben erbarmungslos, er musste um seiner selbst Willen und um nicht das blutende Loch in seinem Herzen nicht zu vergrößern, so werden. Er stumpfte ab, ihn kümmerte nur noch wenig, er wollte nur noch die Menschen jagen, die anderen das antun, was ihm angetan wurde.
Er wollte seine Freunde beschützen.
Die gefühllose Stimme einer Frau sagte seine Station an. Er erwachte aus seinen Gedanken. Auch wenn er ihn innerlich im Grunde die ganze Zeit zerriss, er wollte schreien, seiner Wut Raum machen, er wollte traurig sein, er wollte er selbst sein.
Doch er stieg aus der Bahn und fing an zu lächeln.





Geschrieben von Pain

4 Kommentare:

  1. schreibst du das, weil du es nicht mehr durchlebst? oder gerade, weil du das immernoch fühlst?

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  2. dieser text ist wie ein 5-gänge-menü

    es gibt einen super start (vorspeise)

    der hauptteil ist übersichtlich, gut strukturiert und einfach genial (hauptspeise)

    und das ende runde das ganze elegant und optinal ab (nachtisch).


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    es zeigt die gedanken und gefühle eines jungen , der nicht nur viel leid sondern vorallem viel misstrauen und hass! erntete.
    jedoch bringt ein dieser text hoffnung auf etwas besseres.....


    ich zitiere -soweit es mir gestattet ist-
    ...."er stieg aus der bahn und fing an zu lächeln...!"



    gez. kalle

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  3. hmmm wer weiss, wer weiss
    ich sag nur ich schreibe das was ich erlebe und oder sehe und verpacke es in einer geschichte die nicht immer mit mir zu tun hat...aber manchmal schreib ich mir auch sachen von der Seele...

    ich sag nur wenn dus wissen willst schreib mich persönlich an

    ach und danke Kalle

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  4. Der Schlusssatz ist verdammt gut geworden !
    Ich habe fast geweint als ich ihn gelesen habe !
    Der ganze Text ist sehr gut ! (Y)

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