Über mich

Es gibt einen Punkt im Leben eines Mannes, an dem er sich entscheiden muss...

19.12.2010

Regen

Die Ampel schaltete auf Grün. Er nahm einen guten Zug von seiner Malboro und ging los. Sie schmeckte nicht wie in seiner Erinnerung, aber er brauchte heute eine mehr denn je. Drei Jahre hatte er es ohne ausgehalten, aber jetzt gibt es keinen Grund mehr abstinent zu bleiben. Eigentlich hatte er sich vorgenommen auch weiterhin nicht zu rauchen, aber jetzt hatte er keine einnehmende Ablenkung mehr. Er nahm noch einen Zug und schmiss die Zigarette auf den nassen Boden. Er mochte Regen, er mochte auch Berlin und das ganze in Kombination machte in steht's glücklich. Doch heute schien es nicht so zu funktionieren wie sonst. Es fehlte irgendwas, aber was nur? Er war in seinem Lieblingsstadtteil, in seiner Lieblingsstraße und ging seine Lieblingsroute entlang. Trotzdem stellte sich ein Gefühl der Leere ein. Obwohl er das schon seit ca. vier Wochen kannte, war es heute doppelt so schlimm. Er hatte vieles versucht um die Leere wegzubekommen. Als erstes war da der Whisky, doch dieses rot-braune Getränk schien wenig zu wirken, es erhöhte eher den Promille Wert. Party hatte er vor gut zwei Wochen versucht, aber irgendwie konnte ihn die glitzernd, glänzende Dekoration zu nichts motivieren, selbst seine Lieblingslieder waren da nicht hilfreicher. Irgendwann ließen ihn dann auch meine Freunde im Stich. Ich versaue ihnen die Abende, war die Standartausrede in dem Thema.
Er wusste nicht wieso, aber vor ca. einer Woche hatte er ,dass Bedürfnis in seinen alten Club zurückzukehren. Es hatte sich wahrlich nicht viel verändert, der Eingang stank zwar leicht nach Erbrochenem, aber die Leute schienen noch die selben zu sein. Am Eingang stand ein Kerl mit silbern glänzenden Hemd und mehr Muskeln als Hirnmasse, etwas weiter neben ihm war ein Pärchen, dass kurz vor dem Akt stand, dem wilden Geküsse nach zu urteilen. Die Türsteher waren auch wie immer aufgepumpt, so wollten sich nur Volltrunkene mit diesen Muskeltieren anlegen.
Im Club war es kaum anders. Frauenarzt lief aus den Boxen und der elektronische Bass schlug ihm um die Ohren. Zugekokste Frauen paarten sich mit zukünftigen Hartz IV Empfängern und formten so die Unterschicht von morgen. Er hatte es, nach einigen Drinks, bei einigen Frauen versucht, es lief auch gar nicht so schlecht. Die Erste musste kurz nach dem Zusammenkommen, auf ihren High Heels zur Toilette. Nach einer halben Stunde hatte er die Hoffnung aufgegeben und sich an die nächste rangemacht. Doch auch bei der hatte es nicht wirklich funktioniert. Die Dritte schien ein Treffer zu sein, sie sah gut aus, konnte gut tanzen und war auch noch willig, jedoch blieb das Glück nur bis ihr Freund auftauchte. Anstatt ihn ausreden zu lassen, verpasste er ihm ein paar Beulen und blaue Flecken. Obwohl er sich kaum gewehrt hatte wurde er dann rausgeschmissen...
Seit diesem Tag trug er eine Sonnenbrille, die er selbst bei völliger Dunkelheit nicht absetzte. Zeitweise hatte er sich sogar in seiner Wohnung verbarrikadiert, um seine Schande zu verstecken. Doch heute lief er durch die Stadt. Seine Brille hatte er vergessen, doch irgendwie fehlte sie ihm gar nicht. Er lief stolz mit seinem inzwischen violett-grün gewordenem Ring um das Auge. Nicht viele Leute hatten ihn heute angesehen, aber irgendwie schien es ihm als ob alle anderen über seine Lage beschied wüssten. Der Blick der Frau, die ihn kurz gemustert hatte und dann kichernd den Boden betrachtete, der Kerl der ihm heute auf die Schulter geklopft hatte oder die Oma die ihn so mitleidsvoll angesehen hatte. Obwohl er sich bei dem Kerl gar nicht mehr so sicher war, ob er ihm wirklich auf die Schulter geklopft oder sich einfach nur durchgedrängelt hatte. Trotzdem schienen sie alle zu tuscheln, zu tratschen und über ihn zu reden. Es war ja sonst normal, dass die Leute in den M10 mit einander redeten, aber heute störte es ihn irgendwie besonders. Es grenzte schon fast an Paranoia. Die Bahn zu verlassen war eine gute Entscheidung, meinte er zu sich.
Er lief an einem Café vorbei und überlegte ob sich hinein setzen sollte. Er verwarf diesen Gedanken schnell wieder, da ja sein Lieblingscafé ein wenig die Straße runter war, außerdem hatte ihm ein Freund nicht gerade erfreuliche Dinge über dieses Lokal erzählt. Die Schönhauser war groß und das mochte er. Er konnte eigentlich jeden Tag wo anders frühstücken, nur wohnte er an der anderen Seite der M10. Glücklicherweise war es doch nicht so weit entfernt. Er war relativ oft dort. Beim laufen fragte er sich, warum er immer noch dort wohnte. Er hatte zwar diese Allee erst relativ spät entdeckt, aber was hielt ihn denn die ganze Zeit dort wo er war? Es fiel ihm nicht ein, dies war in letzter Zeit öfter so. Gott sei dank, dass der Chef ein Freund war und ihm drei Wochen bezahlten Urlaub gegeben hatte, doch irgendwie schien das nur wenig zu fruchten. Sie hatte vieles mitgenommen, als sie gegangen war...

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